In Prag hätte ein Überangebot an Straßenkünstlern auftreten sollen. Doch die Stadt will keine Unterhaltung bieten.
Obwohl die einschlägigen Orte vom Wenzelsplatz über den Königsweg und die Karlsbrücke hinauf zum Hradschin überquellen von Besuchern, ist niemand zu sehen, keine Musiker, keine Jongleure, keine Clowns. Nur die Karlsbrücke ist, wie schon vor Jahren, bevölkert mit Zeichnern (»ihr Portrait in 15 Minuten«) und Schmuckhändlern, die gelangweilt und routiniert ihrer Arbeit nachgehen. Völlig unverhofft steht dann doch eine lebende Statue auf einem kleinen Platz in der Altstadt, eine von denen, die stocksteif dastehen und anfangen sich zu bewegen als seien sie ein Automatenmensch, wenn man ihnen Geld hinlegt. Diese hier steht trotz der Hitze in der prallen Sonne, und steckt in einem Silberkostüm mit Krone, Szepter und Apfel hinter einer silbernen Maske. Doch die Passanten fächeln sich Luft zu, gehen im Schatten und übersehen ihren Appell.
Die Polizei scheint in Prag unauffällig und effizient alles aus dem Altstadtbild zu verbannen, was den gewollt malerischen Eindruck trüben könnte. Dafür scheucht sie auch heimatlos Aussehende im Park mit der Frage nach den Papieren aus dem Schlaf. Trotzdem ist die Armut allgegenwärtig. Sobald ich zum Rauchen eine Bank im Schatten aufsuche – Parks sind selten, aber auf einigen Plätzen dürfen Bäume wachsen – kommen Obdachlose und fragen nach Geld oder einer Zigarette. Einer von ihnen bedankt sich mit einem Vortrag auf Englisch über die tschechische Politik, die die Reichen reicher und die Armen ärmer mache. Dabei verbrämt er, so als sei er gelernter Politiker, die Kunstpausen, in denen er Gedanken und Vokabeln sammelt, mit dem Ziehen an der Zigarette. Sein ausgemergeltes Gesicht mit dem scharfen Profil und die dünnen Glieder scheinen zu bestätigen, was er sagt. Doch sein trüber Blick unter dem wirren Haar und die immer mal wieder schlingernde Aussprache entwerten seine Rede.
Im alten jüdischen Viertel Prags, das um 1900 fast vollständig abgerissen und dann mit vier- und fünfstöckigen Häusern im Jugendstil wieder aufgebaut wurde, war es seltsam die Maiselova hinunter zu schlendern. Da beäugte mich ein Herr mit tiefstem Misstrauen und mit jedem Schritt, den ich näherkam, schien seine Anspannung zu wachsen. Gleichzeitig bemerkte er zwei junge Männer, die quer über die Straße auf ihn zu kamen, und ohne die Augen von mir zu lassen, klopfte er verstohlen, aber vernehmlich zwei Mal an die Tür in seinem Rücken. Die Tür öffnete sich für die Beiden und schloss sich sofort wieder, und ich war vorbei und ärgerte mich über den scheelen Blick. Also ging ich zurück, um zu fragen, was es damit auf sich habe. Aber der Herr an der Tür sprach kaum englisch und fragte nur: »Jewish?« Dann erklärte er kategorisch: »No tourists«, die Synagogen schlössen jetzt wegen des Sabbat und morgen sei alles geschlossen. »Orthodox«, fügte er noch an, als erkläre das etwas, und verschränkte die Arme. Ein Aushang neben ihm klärte dann auf, in dem Haus befinde sich das Prager Rabbinat, darunter legte ein zweiter Zettel fest, dass am Freitag um diese Uhrzeit die Vorbereitungen für den Sabbat begännen.
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