Reiserouten

Vielleicht liegt es daran, dass die weit Reisenden über längere Zeit immer wieder auf sich allein gestellt sind. Jedenfalls ergreifen sie gerne die Gelegenheit, über ihren häufig erratischen Zickzackkurs, der wenig mit einem Bummel durch Europa gemein hat, zu berichten. Sie erzählen weit eher als Touristen, die einer geraden Linie folgen.

Pablo, ein Argentinier, war über Bulgarien und Rumänien nach Serbien gekommen, wo er mit den langen, zu einem Pferdeschwanz gerafften Locken, häufig abschätzige Blicke der Männer auf sich zog. Da die Verrücktheiten dieser Welt sehenswert sind, fuhr er von Niš in den Kosovo, denn er hatte von einem Dorf gehört, in dem orthodoxe Serben auf dem einen Ufer des Flusses wohnen und Muslime auf der anderen. Tatsächlich schob dann auch auf der Brücke in der Mitte ein Trupp UN-Soldaten Wache. Danach wollte er nach Kroatien ziehen und weiter nach Norden, nach Berlin, um im August nach Indien zu fliegen.

Mit Chris, einem Amerikaner saßen wir in Belgrad in einem Imbiss um die Ecke auf einer improvisierten Holzveranda, im Fernsehen spielte Ghana Fußball, und der Wirt bemühte sich, mit einer ausufernden Grillplatte (»ein wenig von allem«) seine Gäste zufrieden zu stellen. Bequem in die Ecke der Bank zurückgelehnt erzählte Chris, er hätte eigentlich vorgehabt, im Libanon seine Arabisch-Kenntnisse zu vertiefen, aber Schwierigkeiten mit dem Visum gehabt. Kurzerhand entschied er sich, über die Türkei und den Balkan in die Ukraine zu fahren, um dann über Polen nach Berlin zu gelangen. Auf diese Weise sei der Aufenthalt fern von zu Hause nicht ganz umsonst.

Beim Frühstück im Hostel in Sofia erzählte eine junge Frau mit rundem Gesicht von den Schwierigkeiten, die sie, allein auf sich gestellt, gehabt hatte. Sie kam aus Las Vegas und hatte sich eine Reise ums Mittelmeer ausgemalt. In Marokko, Ägypten, und der Türkei hatte sie isch aber so häufig unverschämt belästigt gefühlt, dass sie nun islamische Länder meiden wollte. Da die kleine Person das halbe Mittelmeer bereits hinter sich hatte, blieb ihr zum Glück nur noch der europäische Teil.

In Tarnovo hatte es am Nachmittag geregnet, was die seit zweit Tagen in der Luft hängende Schwüle ein wenig minderte. Als wir aus den stickigen Zimmern auf die etwas abgekühlte Terrasse kamen, erzählte der australische Nachbar, seine Frau und er seien seit sieben Monaten unterwegs und sie hätten bereits vier Monate in Südamerika verbracht. Nun seien sie über Griechenland nach Bulgarien gekommen und wollten per Bus weiter nach Rumänien und von dort nach Norden. Über Berlin und Paris soll es weiter nach Marokko und Ruanda gehen, um am Ende des Jahres nach zwölf Monaten unterwegs wieder nach Hause zu kommen.

Im Touristenbüro in Varna hatte eine Französin es eilig, noch vor Toresschluss in die katholische Kirche zu kommen. In ihrem verschwitzten und verstaubten Hemd wirkte sie etwas fehl am Platz zwischen den bunten Prospekten für frisch Gebügelte. Sie entschuldigte sich, sie sei seit fünf Uhr morgens unterwegs und machte die Andeutung des Strampelns, drehte sich und zeigte auf ihren Rücken, wo etwas von der Solex-Welttour (s. dort) zu lesen war. Seit einem Jahr seien sie unterwegs und jetzt endlich auf dem Heimweg – sie lächelte, als handele es sich beim Rest um einen Katzensprung.