Im Hinterkopf war ein Hinweis hängen geblieben: Kecskemét sei ein guter Ausgangspunkt, um in die Puszta zu gelangen. Von dort aus führe eine Schmalspurbahn nach Bugac, direkt am Rande des Nationalparks.
Zwar zeigt der am Bahnhof von Kecskemét aushängende Streckenplan eine Verbindung nach Südwesten in den 30km entfernten Ort, aber die Frau am Ticketschalter dämpft die Erwartung, kein Zug, nur der Bus führe und sie deutet mit einer vagen Handbewegung nach draußen. Auf die Fragen nach wo und wann, weiß sie keine Antwort.
Auch der Kellner beim Abendessen lächelt irritiert, als sei es eine seltsame Vorstellung, in die Puszta zu fahren und zuckt die Achseln. Wie man dahin komme, wisse er nicht, aber es gebe ja das Touristenbüro, dort könne man mir sicher weiter helfen. Der Pensionswirt, der vor allem Schachturniere organisiert und stolz ist auf die internationalen Teilnehmer, die aus Norwegen, aus den USA und China anreisen, blinzelt hinter den dicken Gläsern seiner Brille, da sei er überfragt, aber, meint er hoffnungsvoll, ich solle im Touristenbüro nachfragen.
Am nächsten Tag will eine Studentin auf der Straße wissen, was ich von Greenpeace halte. Nachdem das geklärt ist, komme ich auf mein Anliegen und sie runzelt die Stirn und fragt erstaunt, warum ich mit dem Bus zur Post wolle (ungarisch: »posta«). Ich probiere es mit einer anderen Betonung und sie lacht: »Ach, die Puszta«, sie betont das Wort auf der ersten Silbe und spricht es mit einem scharfen »s«. Nein, das wisse sie nicht, aber im Touristenbüro hätten sie sicher Informationen.
Dort hebt jedoch die junge Frau hinterm Tresen nach einem kurzen Telefonat bedauernd die Hände, auf der Farm gebe es heute keine Kutschfahrten und keine Pferdeschau mehr, das tue ihr Leid. Die Antwort verdattert, denn danach hatte ich nicht gefragt, ob es nicht einfach einen Bus nach Bugac gebe? Sie beratschlagt sich mit ihrer Kollegin, die erklärt, wenn ich wirklich nur in die Puszta wolle, dann wäre Bugac zu empfehlen und es gebe auch eine Busverbindung. Kurze Zeit später hat sie auch den vollständigen Fahrplan für Hin- und Rückfahrt ausgedruckt.
Auf dem Busbahnhof fahren die Busse in alle möglichen Richtungen, aber Bugac steht auf keiner der Tafeln. Die Dame an der Information verweist auf Haltestelle 7, nächste Abfahrt um halb drei. Es bleibt noch Zeit für warmen Apfelstrudel.
Während der Fahrt ereignet sich hinter den zusehends beschlagenden Scheiben kaum Landschaft: kleine, weitläufige Orte ziehen vorbei, Obstbäume wechseln mit Weinstöcken, wechseln mit Wiesen, wechseln mit Weiden, dann biegt sich wieder das Korn folgsam unter dem Wind und plötzlich scheint das Feld bis an den Horizont zu reichen. Dabei bleibt es: über das lang gewellte Land wandern Strommasten ihre immer kleiner werdende Schneise hinauf, und die Autos auf den Straßen haben noch einen sehr weiten Weg vor sich.
Unterwegs steigen zwei Damen zu, um die Fahrkarten zu kontrollieren. Die Jugendlichen hinten im Bus machen sich daher einen Spaß daraus, sich gegenseitig die Fahrkarten weg zu nehmen. Das verschafft mir etwas Zeit, nach dem Ticket zu suchen, das in keiner der neun Taschen raschelt. Als ich anfange, in der Umhängetasche zu kramen, macht die Kontrolleurin ein besorgtes Gesicht und ist sichtlich erleichtert, als sie schließlich doch den richtigen Zettel zum Einreißen bekommt.
Rostige Schienen laufen in engem Abstand neben der Straße her; anscheinend fährt die Schmalspurbahn nicht mehr. Und tatsächlich schießt wenig später immer mal wieder Klatschmohn zwischen den Schwellen hervor. Dann vereinsamen langsam die Häuser, Schilder mit dem Namensteil »puszta« tauchen auf, und junge, in Reih und Glied gepflanzte Wälder von Fichten und Birken rücken an die Straße heran.
Als der Bus nach einer Stunde Fahrt in Bugac einbiegt, erweckt das Dorf den Eindruck einer amerikanischen Vorstadtsiedlung. Gerade Straßen, weit auseinander stehende Häuser, alle mit eigener Zufahrt. Für einen Gang durchs Dorf bleibt etwas mehr als eine Stunde, bevor der nächste Bus wieder zurückfährt.
Am ehemaligen Bahnhof übt ein Junge mit seinem Rad das Fahren und Springen über den Treppenabsatz zum Wartesaal, dessen Fenster mit Brettern vernagelt sind. Die andere Hälfte des Bahnhofs ist bewohnt, Gardinen verwehren den Blick nach drinnen und die eng stehenden Blumen auf den kleinen Fensterbrettern widersprechen zaghaft der verwaschenen, abblätternden Farbe.
Am Ortsrand sind die Straßen nicht asphaltiert und große Pfützen stehen nach dem letzten Regen auf den Sandwegen. Kaum jemand ist auf der Straße zu sehen und von Haus zu Haus begleitet mich nur das Konzert der Kläffer, die mich übereifrig hinter ihren Zäunen begleiten.
Vernachlässigt aussehende Häuschen wechseln mit frisch renovierten Villen, die auch in deutschen Dörfern stehen könnten. An einigen Toren hängen Schilder, die das Grundstück auf ungarisch und deutsch zum Verkauf anbieten. Einen einladenden Eindruck machen die Häuser nicht, sie stehen meist auf einer Ecke des Grundstücks und kehren der Straße nur eine Wand zu. Um zur Tür zu gelangen müsste man erst durch das Tor und am Hund vorbei. Auf vielen Grundstücken steht neben dem Haus noch ein Wirtschaftsgebäude und einen großen Teil ihrer Gärten nutzen die Bewohner um Gemüse zu ziehen.
Die Runde ums Dorf zieht sich in die Länge, denn selbst die Dorfstraßen scheinen sich erst in unbestimmter Ferne zu verlieren. Zurück auf der Hauptstraße entpuppen sich einige der abweisend wirkenden Häuser als Geschäfte, ein Supermarkt ist dabei und auch ein Café.
Als ich in den Bus steigen will, schüttelt der Fahrer den Kopf, nein, nach Kecskemét führe er nicht, auch nicht nach Kiskunfélegyháza, wo er nach meinem Fahrplanausdruck Station machen sollte. Nein, nein, er schüttelt den Kopf, und lässt einen Redeschwall auf ungarisch folgen. Er besinnt sich, zeigt auf seine Uhr und zieht einen Kreis um sie, in einer Stunde. Dann greift er sich einen Kugelschreiber und korrigiert kratzend meinen Fahrplan: um 18:20 Uhr soll ich den Bus nach Jakabszállás nehmen, und dort, er deutet es an wie das Auswechseln im Fußball, umsteigen nach Kecskemét.
Das hieße anderthalb Stunden untätig herumsitzen. Doch laut Umgebungsplan, der auch die Bushaltestellen verzeichnet, ist der nächste Stopp Richtung Kecskemét in einer Stunde zu Fuß zu erreichen. Da die Straße an der Puszta entlang führen soll, fällt der Entschluss leicht. Und verlaufen kann man sich hier auch nicht: Am Ende der Straße, die aus Bugac hinausführt, rechts und dann laufen bis zum nächsten Ortsschild.
Es geht vorbei an Wiesen, unvermittelt unterbrochen von Äckern, einer Geflügelfarm und einzelnen, kleinen Höfen, auf denen die Hunde anschlagen. Schilder weisen den Weg zu den beiden Farmen, die hier in der Gegend das Bild vom Leben in der Puszta konservieren: Die Broschüren aus dem Touristenbüro zeigen Männer in traditioneller Hirtentracht, die auf dem Rücken galoppierender Pferde stehen. Bei dem Angebot der Butterfahrt in die Steppe steht nach der Schau eine Kutschfahrt in die Puszta und anschließend ein traditionelles ungarisches Essen auf dem Programm.
Die Kulturlandschaft der Puszta, die sich über weite Teile Ungarns erstreckte, ist seit langem auf dem Rückzug und muss in Nationalparks bewahrt werden. Das einstmals von Bäumen bestandene Land wurde noch zur Türkenzeit weitgehend abgeholzt und die Viehhaltung sorgte dafür, das entstandene Weideland zu erhalten, das die Ungarn dann als Ödnis, eben puszta, bezeichneten.
Heute gibt es Hirten mit Vieh- und Pferdeherden noch in den Nationalparks und wahrscheinlich stehen da auch die traditionellen Ziehbrunnen, die hier am Wegrand fehlen. Die Pferdekutschen sind ebenfalls außer Dienst statt dessen zischt hin und wieder ein Auto vorbei. Auch der Blick kann nicht mehr ungehindert über eine weite Ebene schweifen, weil immer wieder Wäldchen und Böschungen die Sicht versperren. Nach einer Stunde ist Bugacpusztaháza erreicht. Der Fahrplan bestätigt die Hoffnung, auch hier in den Bus steigen zu können. Bald darauf biegt er um die Ecke und sammelt unterwegs auch wieder die beiden Damen von der Ticket-Kontrolle ein.
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