In vielen spanischen Städten findet sich im Zentrum ein meist rechteckiger, vollständig umbauter Platz, die Plaza Mayor. Den gibt es auch in Coruña, allerdings heißt der Platz hier Plaza María Pita. Bei der Suche nach dem Warum stößt man auf eine alte Geschichte, deren Heldin allerdings vergleichsweise jung ist.
Die alte Geschichte geht so: 1588 sollte die Armada Invencible (die unbesiegbare Armada) die Invasion Englands einleiten und scheiterte kläglich. Von den rund 130 Schiffen der Flotte kehrten weniger als 70 zurück. Im folgenden Jahr schickte England eine Flotte unter Admiral Francis Drake und General John Norris Richtung Spanien, um die Reste der Armada zu zerstören. Aus welchen Gründen Drake und Norris mit 120 Schiffen vor Coruña auftauchten, ist bis heute unklar, denn ursprünglich hatten sie das Ziel Santander, wo rund 40 Schiffe der Armada Zuflucht gesucht hatten, in Coruña lagen nur sechs.
Am 4. Mai 1589 landeten die Briten und besetzten zunächst die Straßen nach Betanzos und Santiago de Compostela. Am 5. Mai nahmen sie die schwach befestigte Unterstadt, genannt Pescadería, ein und plünderten sie. Doch an der Stadtmauer, die etwa die heutige Altstadt umgab, kam der Angriff zum Stillstand und die Engländer verlegten sich darauf, die Stadt zu belagern. Ab dem 12. Mai versuchten sie, mit Minen Löcher in die Mauer zu sprengen, was ihnen am 14. Mai gelang. Die Bresche soll ein englischer Fähnrich genutzt haben, um zu einer hohen Stelle auf der Mauer zu gelangen, und dort die englische Flagge aufzupflanzen. Es war, dem Tagebuch eines unbekannten Autors zufolge, María Pita, die den Briten zu Fall brachte und mit ihrem Mut den Corunesen das Beispiel gab, das die Stadt vor der Eroberung bewahrte. Die Briten brachen die Belagerung am 18. Mai ab und segelten, dem zweiten Teil ihres Plans folgend, nach Lissabon, um die Stadt anzugreifen und Portugal aus der damaligen Personalunion mit Spanien zu lösen. (Auch das ging schief.)
Für diese Darstellung kann die Zusammenfassung auf historische Quellen zurück greifen. Ebenso als gesichert darf gelten, dass die Stadt zwar materiell für eine militärische Auseinandersetzung gut ausgestattet, aber mit nur 700 Soldaten schwach besetzt war. Daher mussten die Frauen helfen, Tote beiseite zu schaffen und Verwundete zu versorgen. Später mussten auch Jugendliche und Alte hinter den Mauern einspringen, um die Sprenglöcher zu schließen.
Damit ist das Tableau gegeben, in das die Heldin eingelassen werden kann, es mangelt nur noch an Konturen. Doch schon der zeitgenössische Bericht enthält Versionen, nach denen María Pita den Fähnrich getötet habe, den einen zufolge erschoss sie ihn mit einer Büchse, während andere meinten, sie habe ihn mit einem Stein erschlagen. Diese Einladung zur Spekulation ist vielfach angenommen worden und in der mittlerweile wohl populärsten Fassung erstach María Pita den englischen Fähnrich mit dem Degen ihres Mannes, der bei der Belagerung umgekommen war, und griff unter dem Ruf »Quien tenga honra, que me siga« (Wer Ehre hat, der folge mir), die Briten an. Danach soll sie sich wieder der Verwundeten angenommen haben.
Da es sich für eine Heldin so gehört, soll sie natürlich hoch gewachsen und sehr hübsch gewesen sein. Überprüfbar ist das nicht, weil Zeit ihres Lebens niemand auf die Idee kam, sie zu porträitieren.
Wie das bei Helden so ist, gilt die Aufmerksamkeit den Taten und weniger den Personen, daher muss man die sperrigeren Details ihrer Biographie erst suchen: Sie wurde zwischen 1560 und 1568 geboren, den Eltern gehörte eine Fischhandlung. 1581 heiratete sie ihren ersten Mann, einen Schlachter. 1587 heiratete sie ihren zweiten Mann, ebenfalls einen Schlachter (der dann bei der Belagerung umkam, weshalb wohl auch eine Fassung in Umlauf ist, nach der sie den Fähnrich mit Schlachtermessern erlegt haben soll). María Pita erwies sich auch nach der Belagerung Coruñas als sehr streitbare Person, davon zeugen über 20 Gerichtsverfahren, die sie zum Teil verlor. Die Auseinandersetzungen reichten von privaten Querelen um Schulden und Mietzahlungen bis zu Strafverfahren wegen Beleidigung und Körperverletzung. Als Resultat einer Gerichtsfehde wurde sie zwei Jahre aus der Stadt verbannt, eine Zeit, die sie am spanischen Hof verbrachte, wo es ihr gelang, für ihre Heldentat im Nachhinein Geld zu erwirken. Erst nachdem auch ihr vierter Mann gestorben war, der dem niederen Adel angehört hatte, gewährte ihr der König eine Rente in der Höhe, auf die auch ein Fähnrich oder Leutnant Anspruch hatte. Sie starb 1643 und war danach lange vergessen.
Erst im 19. Jahrhundert setzte der Kult um die Heldin der Stadt ein. Im Nachhall des 300. Jahrestages wurde 1892 ihr ehemaliges Wohnhaus in der Altstadt mit einer Plakette versehen, die »Ruhm den Helden! Lob den Märtyrern« spendet und den Verteidigern der Stadt Dank ausspricht. Bis heute setzt sich der Rummel um María Pita fort. Seit 1990 existiert in Coruña ein »Ritterorden María Pita«, der sich um die Ausrichtung von Festlichkeiten mit historischem Bezug kümmert, und sich natürlich dafür einsetzte, der Dame ein Denkmal zu errichten. Das steht nun seit 1998 auf der Plaza María Pita. Die Statue erinnert ein wenig an die Marianne[1], nur dass sie – noch eine Variante – in der Rechten eine Lanze schwingt und nicht die Tricolore und die Linke den Arm des erschlagenen Briten umfasst anstelle des Gewehrs mit aufgepflanztem Bajonett. In Bronze gegossen hat sie ein zeitgenössischer Künstler, aber Kritiker wenden ein, die Idee zur Gestaltung stamme aus den 1890er Jahren.
Warum der Kult eingesetzt hat und wozu er gut sein soll, lässt sich nur vermuten. Bei zurückhaltender Betrachtung war María Pitas Einsatz wohl mutig und aller Ehren wert, aber er dürfte mit dem Ende der Belagerung nicht in Zusammenhang stehen. Dafür gibt es verschiedene andere Gründe. Die Briten waren auf die Zerstörung von Schiffen eingerichtet, nicht auf eine Belagerung, dazu fehlten die entsprechenden Kanonen und Minen. Außerdem dürfte die englische Armee nach der Plünderung der Pescadería ein Disziplinproblem gehabt haben. Und schließlich war nach zwei Wochen Belagerung wohl auch der Entsatz für die Stadt aus der Umgebung eingetroffen.
Wozu also braucht es eine hübsche Frau, die fremde Eroberer ersticht (mit dem Degen ihres Mannes, was ein Rachemotiv mitschwingen lässt) und sich mit einem Appell an die Ehre ihrer Mitstreiter auf die Feinde stürzt?
Vielleicht handelt es sich um eine nationalistische Ikone im Werden – nationalistisch im Sinne von galicisch, nicht spanisch. Denn die Entstehung des Kults fällt mit der Verbreitung des Nationalismus im 19. Jahrhundert zusammen und ihre Legende bietet die Ansatzpunkte: Rache für die eigenen Opfer, Widerstand gegen die Fremden, der Fall des fremden Banners. Doch immer noch wirkt die Ikone unfertig und María Pita ist ein auf Coruña und Umgebung beschränktes Phänomen geblieben. Wahrscheinlich muss man sich Nationalismus wie andere Dummheiten auch erst einmal leisten können, und als eine der ärmsten Regionen Spaniens scheint nach dem Ermessen der Galicier die Region besser beraten zu sein, Teil des spanischen Staats zu bleiben.
Da die Ikone unfertig geblieben ist, bleibt ihre schemenhafte Biographie offen für andere Deutungen. Und so hängt María Pita mittlerweile auch in der feministischen Ahnengalerie als Beispiel für eine starke Frau, die ihre insgesamt vier Kinder über lange Zeit allein erzogen habe, und sich behauptete, obwohl die patriarchalische Welt ihr ihren Ehrgeiz nie verziehen habe.
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