Belgrad kann kaum als eine schöne Stadt gelten. Es fehlt ihr entschieden an Farbe und Pflege. Doch die Stadt entwickelt ihren Charme über Gegensätze, wenn in der Altstadt noch Holzhäuser nach altem türkischem Muster stehen, und am Ende der Straße Banken sich hinter spiegelnde Glasfassaden zurückziehen, oder mitten in der hektischen Betriebsamkeit einer Hauptstraße Müßiggänger in den Cafés es genießen, sich bequem in die Polster zurückzulehnen.
Zudem will sich die Stadt, wie das ganze Land, nicht entscheiden, ob sie dem lateinischen oder dem kyrillischen Alphabet den Vorzug geben soll, und so wirbt auch auf der Haupteinkaufsstraße Mihailova (die von den immer gleichen Schaufenstern westeuropäischer Fußgängerzonen noch verschont ist) das Antiquariat mit kyrillischen und die Boutique mit lateinischen Buchstaben um Kundschaft. In der Schule lernen die Kinder beide Alphabete, auch wenn nach einem Verfassungszusatz von 2006 das Kyrillische als offizielles Alphabet gilt. An diese Vorgabe halten sich Straßenschilder, Amtsschreiben und wer einen eher traditionsverbundenen Eindruck machen möchte. Was bunt, modern, westlich erscheinen will, nutzt das lateinische Alphabet.
Das schwierige Nachtleben
Zwar hat Serbien die im Schnitt älteste Bevölkerung in Europa, aber am Abend, wenn sich Trauben junger Leute vor den Cafés. Pubs und Cocktail-Bars drängen, ist davon nichts zu spüren. Im Gegenteil, europaweit herum gesprochen hat sich auch schon die Amüsiermeile in Neu-Belgrad entlang der Sava in Richtung des Vororts Zemun, wo den Bars an der Straße die Clubs auf den Hausbooten Konkurrenz machen. Dementsprechend haben die englischen location scouts, immer auf der Suche nach einer günstigen Alternative zur teuren Heimat, Belgrad zur Party-Hochburg ausgerufen. Und während in Prag mittlerweile Schilder mit der Aufschrift »No Stag Parties« in den Fenstern der Lokale hängen, entwickelt sich Belgrad gerade zum Ziel der englischen Junggesellenabschiede.
Doch die vergnügungssuchenden Westeuropäer treffen bei ihrem Zug durch das Belgrader Nachtleben zwar auf junge Leute, die nach Westen sehen und nach Europa wollen, aber das ungezwungene Miteinander der Geschlechter erst noch einüben müssen. So ziehen denn am Abend Cliquen von jungen Serbinnen durch die Straßen, die, nach Schminke und Kleidung zu urteilen, den westlichen Vorgaben folgen; doch sie treffen in den Tanzclubs auf zurückhaltende junge Männer, die nur andeuten, den Rhythmus der Musik wahrzunehmen, sich aber vor allem an ihrem Glas festhalten.
Deutsche Evergreens
Am späten Abend - wieder einmal wirft der Himmel Falten über Belgrad, es blitzt und grummelt, aber das Gewitter bleibt aus - spielt im überwucherten Garten des Restaurants eine Band auf, mit Akkordeon, Gitarre und Bass. Im ersten Set beschränken sie sich auf instrumentelle Standards, dann machen sie Pause, und Kaffeehaus-Musik plätschert, den Brunnen übermalend, durch den Garten. Im zweiten Set tragen sie zunächst leicht traurige serbische Lieder vor, um sich dann den Gästen zuzuwenden und Stücke auf Bestellung zu spielen. Als die Reihe an mich kommt, fragen sie zuerst, woher ich komme. Die Antwort, »Germany«, ruft Ratlosigkeit hervor. Doch dann wendet sich der Gitarrist mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu mir und beginnt, »Marina« von Rocco Granata zu spielen.
Später spricht mich der Akkordeon-Spieler an, und fragt, aus welcher Stadt ich komme. Als er von Hamburg hört, ist er angetan. Er hätte vor 15 Jahren zwei Monate lang in Hamburg gespielt, in einem serbischen Restaurant, jeden Abend, ohne Pause, eine schöne Stadt, und Sao Paulo sei der schönste Teil.
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