Es ist ein mehrdeutiges Verhältnis, das die Galicier zum Pulpo, also zum Kraken, pflegen. Einerseits setzen sie dem Tier ein Denkmal und schenken es ihren Kindern in Plüschform, doch andererseits lassen sie es sich regelmäßig als tapa oder ración servieren.
Der Grund, Krake zu essen, ist simpel: es schmeckt. Allerdings gäbe es gute Gründe die in zentimetergroße Scheibchen zerstückelten Arme aus Gewissensgründen zurück zu weisen, denn es heißt, das Tier sei sehr neugierig, intelligent und erweise sich unter Laborbedingungen als lernfähig – »Bruder Krake« gewissermaßen.
Es war wohl Neugier, die den Kraken im Außenbecken des hiesigen Aquarium Finisterrae dazu getrieben hat, zur Wasseroberfläche aufzusteigen um einen genaueren Blick auf den seltsam Armlosen da draußen im Trockenen zu werfen. Auge in Auge mit dem Weichtier, reichte die Zeit, nach der nicht mitgebrachten Kamera zu tasten und mit einem Fluch zu bedauern, immer die besten Gelegenheiten zu verpassen. Erst danach ließ der Krake sich wieder sachte zum Grund sinken, um seinem Kollegen im »Octopus’s Garden«[1], wie sie das Becken hier getauft haben, weiter Gesellschaft zu leisten.
Was die Intelligenz der Tiere angeht, streiten die Experten. Sie seien zumindest so intelligent wie Ratten, heißt es, und stellten mit den Weißkitteln im Labor ähnlich komplizerte Versuche an wie die Mäuse, indem sie sich in den extra für sie gebauten Labyrinthen eher lässig orientieren. Die höheren Weihen des Lernens durch Beobachtung, die italienische Forscher den Kopffüßern verleihen wollten, werden dagegen in Zweifel gezogen; demnach lernen sie nicht durch die Beobachtung eigener Artgenossen. Da sie keine Kinderstube haben, kann man ihnen das kaum zum Vorwurf machen. Bei einer Lebenserwartung von zwei Jahren sterben die Eltern nach der Fortpflanzung und das Überleben der Art wird vor allem durch die Menge der gelegten Eier gesichert.
Doch immer wieder finden sich Erzählungen von Kraken in Gefangenschaft, die sich aus dem eigenen Becken herausgequetscht haben, auf ihren acht Beinen über den Boden wandeln, wie sie es am Meeresgrund auch zu tun pflegen, um im nächsten Becken einzubrechen und dort auf Jagd zu gehen, da sie Essbares darin gesehen haben. (Da Kraken, wie ihre Mollusken-Verwandschaft aus Schnecken und Muscheln auch, keine Knochen haben, kommen sie durch jeden Spalt, der groß genug für ihre Augen und den Schnabel ist). In der britischen Tierschutzgesetzgebung hat die Vorstellung, es hier mit einem intelligenten Wirbellosen zu tun zu haben, jedenfalls dafür gesorgt, Kraken zu »Wirbeltieren ehrenhalber« zu erklären (sprich: sie dürfen nicht ohne Betäubung einschneidend untersucht werden).
Neben den intelligent wirkenden Verhaltensweisen scheint vor allem das ausgeprägte Nervensystem der Kopffüßer die menschliche Fantasie zu beflügeln. Sie sollen sehr gut sehen können, was die Raubzüge in benachbarten Aquarien erklärt, aber vor allem ziehen sich reichlich Nervenbahnen durch ihre acht Arme, und jeder Saugnapf ist mit Rezeptoren ausgestattet, die es dem Kraken erlauben, damit zu »riechen«. Da sie vorzugsweise nachtaktiv sind, hilft der Mechanismus bei der Jagd.
Sich selbst schützen die Tiere vor allem durch Tarnung, wobei sie sich als Virtuosen zeigen, denen es nicht nur möglich ist, sich schnell an die Farbe ihrer Umgebung anzupassen. Zusätzlich gelingt es ihnen mit Wölbungen ihrer Haut die Oberfläche ihrer Umgebung nachzuahmen.
Für den letzten Farbwechsel sorgt die Zubereitung. Das tote Tier ist von grau-weißer Farbe und verfärbt sich rot beim Kochen. Früher wurde der Körper häufig noch am Hafen mehrfach auf die Steine geschlagen, um das Fleisch mürbe zu machen, heute wird Pulpo eher eingefroren, was den gleichen Effekt hat und sich nicht auf den Geschmack auswirkt. In einem Kupferkessel mit kochendem Wasser wird das Tier zunächst mehrfach abgeschreckt, damit die Haut sich nicht löst, wenn es anschließend für 40 bis 50 Minuten gekocht wird. Nach dem Kochen werden vorzugsweise die Arme des Kraken in Stücke zerteilt, und mit viel Öl, süßem Paprikapulver und etwas Hagelsalz (öfter auch Knoblauch) auf einem Holzteller angerichtet (a la gallega). Wer Schwierigkeiten mit der stellenweise immer noch etwas schleimigen Konsistenz hat, kann Pulpo in vielen Lokalen auch gegrillt bestellen (a la plancha).
Seltsamerweise stammt das Gericht polbo á feira, wie es auf galicisch heißt, nicht von der Küste, sondern hat sich im Landesinnern Galiciens entwickelt. Dementsprechend finden sich auf Pulpo spezialisierte Lokale, die Pulpeiras, in ganz Galicien. Zudem betrachtet sich heute das Städtchen O Carballiño in der Nähe von Ourense als Haupstadt des Pulpo und veranstaltet jedes Jahr am zweiten Sonntag im August die »Fiesta Del Pulpo«.
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