Was noch zu sehen ist

Sieht man mal ab von den architektonischen Akzenten, enthält das Foto aus der letzten Serie »In Ferrol und Betanzos« weitere Details, die ein paar Worte lohnen.

Neben seltsamer Architektur fängt das Foto noch ein paar andere Details ein
Neben seltsamer Architektur fängt das Foto noch ein paar andere Details ein

Zunächst offenbart sich ein weiterer architektonischer Einfall: Das Haus mit dem Pultdach führt mit dem bis an die Dachtraufe ragenden schwarzen Vorbau eine hiesige Eigenart fort. Wie zu sehen, zeigen die anderen Häuser in der Straße mit ihren Überhängen ähnliche Konstruktionen, die nur farblich nicht abgesetzt sind. Derart hervorragende Stockwerke sind zwar bei Regen ganz praktisch, aber eigentlich setzen die Architekten auf diese Weise die Mode der »Galerías« fort, die im 19. Jahrhundert entstand, als flaches, ebenes Glas präzise zugeschnitten erhältlich wurde. Mit den Galerías entstanden abgeschlossene Balkons, die zwar Licht und Sonne herein liessen, aber vor Wind und Regen schützten.

Galerías in Coruña
Galerías in Coruña

 Vielleicht hat die Mode in La Coruña ihren Ausgang genommen, jedenfalls brachten die Vorbauten aus weiß gestrichenem Holz und Glas der Stadt den Beinamen »Ciudad de Cristal« (Glasstadt) ein. Die Bezeichnung ist zwar erhalten geblieben, aber der Grund dafür findet sich fast nur noch im touristisch erschlossenen Altstadtviertel. In den meisten Straßen stehen seit den Spekulationen und dem Bau-Boom in den 60er und 70er Jahren glatte Fassaden, die ab dem ersten Stock immer ein Stück über das Erdgeschoss hinaus ragen.

Die kleinkariert gekachelte Fassade des Hauses auf der anderen Straßenseite findet sich in Galizien ebenfalls häufiger.

Auf dem an die weiße Fassade geklebten Straßenschild ist »Rua María Pita« zu lesen. Bei María Pita handelt es sich um die Stadtheldin von Coruña. Der Legende nach hat sie 1589 beim Angriff der Engländer auf die Stadt den Fähnrich erschlagen, der auf der Stadtmauer schon die englische Fahne hissen wollte. Damit soll sie ihren Mitstreitern das Beispiel gegeben haben, das sie brauchten, um den Angriff und die Belagerung zu überstehen. (Mehr zu dieser bei genauerem Hinsehen eigentümlichen Geschichte in einem der folgenden Beiträge.)

Dem Zeitstempel des Fotos zufolge, habe ich es gegen halb zwei aufgenommen. Die schmalen Schatten verweisen dagegen auf einen Sonnenstand vor 12 Uhr mittags. Die Abweichung entsteht nur zum Teil durch die Sommerzeit, die in Spanien genauso gilt wie in Deutschland. Denn Coruña liegt wesentlich weiter westlich bei 8 Grad auf der Länge des irischen Cork, während Hamburg auf 10 Grad Ost liegt. Dadurch hält hier auch die Dämmerung am Abend länger an als in Norddeutschland. (So soll am längsten Tag des Jahres, am 21. Juni, die Sonne in Coruña erst um 22:15 Uhr untergehen, in Hamburg dagegen um 21:50 Uhr).

Vielleicht fällt es nicht ohne weiteres auf: die Autos am Straßenrand stehen parallel zum Bürgersteig und touchieren auch gerne den Kantstein mit den Reifen. Das ist durchaus normal, in der Regel schaffen es die Fahrer in zwei Zügen selbst in sehr knapp bemessene Lücken (Einparkhilfen sind hier ein Witz, die Dinger fiepen ununterbrochen). So liederlich wie der Wagen im Vordergrund abgestellt ist, lässt das nur den Schluss zu: Da saß keine Spanierin am Steuer.

Vor dem mitten auf der Straße verlassenen Auto stehen Müllcontainer in gelb und grün (zur Mülltrennung). Wann in Naron der Müll abgeholt wird, kann ich nicht sagen, aber unter meinem Fenster kommen die Wagen zwischen zwei und drei Uhr in der Nacht vorbei, einer für den gelben und einer für den grünen Container. Und wie es sich anhört, stehen sie in einem Wettbewerb – wahrscheinlich wartet am Ende der Straße ein Schiedsrichter mit Phonometer und vergibt Punkte für die erreichten Dezibel. Wenn die Müllabfuhr durch ist, folgt noch die Straßenreinigung, ein schmaler Wagen mit Bürsten und Wasserdüsen brummt erst den Bürgersteig auf der anderen Seite hoch, dröhnt dann auf dieser Seite wieder hinunter und reinigt dabei geräuschvoll die Gehwegplatten mit Seife. Die Spanier sind meines Wissens das einzige Volk in Europa, das auch noch seine Straßen shampooniert.

Die Mülltonnen stehen eingefasst von Metallbügeln auf der Straße. Was zunächst etwas befremdlich wirkt, machen die Herbststürme verständlich. Ohne diese Bügel, die die Container halten, schöbe der Wind die Dinger nach Lust und Laune durch die Straßen, bis sie an der nächsten Kreuzung hügelabwärts schössen.